Bildquelle: M.Schlüter / pixelio.de

Stresstest

Bildquelle: M.Schlüter / pixelio.de Stresstest

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Londonreisende kennen die Ansage in der U-Bahn. „Mind the gap … stand clear of the doors please“. Ordentlich sind sie ja die Engländer, so dass die Stimme vom Band den Einwohner wie den Besucher regelmässig davon abhält den Fehler zu machen, vielleicht doch etwas zu nah an den Bahnsteig zu treten oder ungesittet in den Zug zu stürmen um die Tür auf die Rübe zu bekommen.

So gesehen sind Regeln etwas schönes, man stellt sie auf … man schreibt sie auf den Bahnsteig und lässt eine Stimme zu jeder Gelegenheit des Regelverstoßes die Regel als Bitte nochmals abspielen. Ich vermute mal, wenn man einen Londonbesucher fragt, worauf man achten sollte, wenn man aus der U-Bahn aus- oder einsteigt… klar, auf die olle Lücke achten. Dennoch bin ich mir sicher, dass dennoch jährlich genügend Leute als Lückenbüßer genau in diese Lücke fallen, treten, stolpern.

Der Titel dieses Blogbeitrags heisst aber anders, wie das zusammenpasst – dazu später. Stresstest ist selbst so ein Wort, dass durch seine inflationäre Benutzung schon den ein oder anderen Stresstest durchlebt hat. Wort des Jahres 2011 – immerhin, aber Stresstests durchleben wir alle regelmäßig.

Stress ist auch ein ziemlich (sorry, gleich höre ich damit auf) gestresster Begriff. Schulstress, Arbeitsstress und was weiß ich nicht – es ist zum Kulturgut geworden in Deutschland entweder gestresst zu sein, oder im Gegenteil –  über die ganzen gestressten Typen zu urteilen, weil sie ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen. Das aber nur so am Rande.

Das Gebot der Stunde

Vor kurzem habe ich ein Trainingsbuch gelesen, das sich etwas von den typischen Vertretern seiner Art unterscheidet – es ist deutlich ehrlicher und verkauft nicht zwangsläufig alles als machbar. Auch wenn der Titel einem Laufbuch aus deutschen Landen gleicht, ist der Inhalt ziemlich unterschiedlich. Die Rede ist von Joe Friel – Die Trainingsbibel für Radsportler. Insgesamt geht es in dem Buch schon hoch her, letztlich kann auch der wirklich ambitionierte Radsportler damit etwas anfangen, was mich fasziniert hat, war aber auch der Gedanke an den Alltagssportler… an all die Familienväter und -mütter, die Vollzeitarbeiter, die Dienstreisenden, die Schichtarbeiter … die sich einen Ausdauersport trotz ihrer sonstigen Verpflichtungen leisten.

Unter anderem stellt Joe Friel die „10 Gebote des Radsporttrainings“ auf, die man problemlos auch auf das Laufen übertragen kann. Meiner Meinung beachtenswertest sind

  • 1. Gebot – Du sollst maßvoll trainieren
  • 2. Gebot – Du sollst beständig trainieren
  • 3. Gebot – Du sollst angemessene Pausen einlegen
  • 8. Gebot – Du sollst Deinem eigenen Training vertrauen
  • 9. Gebot – Du sollst auf Deinen Körper hören

Diese 5 Gebote könnte man sich als sportlerisches „Mind the Gap“ tagtäglich vorbeten. Wie wäre es mit dem Smartphonebildschirm, Bildschirmhintergrund im Büro und als Dauerschleife auf dem MP3-Player? Als Aufschrift auf dem Badezimmerspiegel oder als wiederkehrender Kalendereintrag. Dazu kann man noch den bekannten Allgemeinplatz „Ernähre Dich gut!“ hinzufügen. Imperative ohne Ende … bekannt, erprobt, akzeptiert! In einer Umfrage unter Ausdauersportlern würde sicher ein Großteil den Aussagen zustimmen. Aber sind wir mal ehrlich… reine Lippenbekenntnisse.

Wie viele Hobbyathlehen reiten auf Messer Schneide? Wir biegen und beugen die o.g. Gebote, dass man froh sein soll, dass es keinen Ausdauergott gibt, der uns mit Blitzen und Plagen überhäufen würde. Maßvoll trainieren wird umdefiniert, beständig in täglich umgedichtet. Als angemessene Pause gilt die Zeit, in der man in der Arbeit ist und anstatt Vertrauen ins Training wird einfach mehr trainiert … sicher ist sicher, dann braucht man weniger drauf vertrauen. Auf den Körper aber hört man… nämlich dann, wenn Infekt – Verletzung oder sonstige Späße plötzlich zum Alltag geworden sind.

Jedermann!!!

Was im Laufsport der Volkslauf, ist im Radsport das Jedermann-Rennen. Jedermann kann teilnehmen. Jedermann kennt man auch in Salzburg. Dort wird einer, der nicht einsehen will, dass sein Lebenswandel ungesund ist mit harten Tatsachen konfrontiert und schließlich dahin gerafft. Schöner Mist! Aber auch ohne es auf die Spitze zu treiben, wir alle als sportliche Jedermänner schlagen mal über die Stränge. Ein wenig gehört das auch dazu, immerhin ist ein Trainingsreiz nichts anderes als ein Stresstest. Impuls und Gegenreaktion – dadurch werden wir schneller, besser und sogar gesünder.

Zum Thema Jedermann habe ich vor kurzem im Blog Running for an Ambulance einen Beitrag gelesen, über den ich erst schmunzeln und letztlich doch kräftig nachdenken musste. Nach dem Motto „warum ich künftig in der “M40-Verh-2Kids-NIXBeamter” starte“ sind diese Kategorien wie Jeder(!)mann oder die angeblich so gleichen Alterklassen für die Katz.

Mind the Gap! Also nicht jetzt an die Lücke denken – den Satz kann man auch anders übersetzen… bedenke die Diskrepanz, z.B. die Diskrepanz in der Aussage  über Jedermänner und Jederfrauen … über Alterklassen über Leistungsstände. Selbst Profisportler sind nicht alle gleich, aber sie sind etwas gleicher. Die Diskrepanz in Selbstwahrnehmung und dessen, was man gern anderen rät.

AK M30-Verh-1Kind-NIXBeamter – der tägliche Stresstest

Der Grund für die vielen Worte bis hier her ist, dass ich in meinem alltäglichen Stresstest mal wieder gegen die Wand gefahren bin. Heute ist der 7. Pausentag, der siebte Tag an dem ich das gefühlte achte Symptom auskuriere. Erstaunlich, was der Körper innerhalb einer Woche alles veranstalten kann, teilweise auch mit zwei Tagen Pause um für andere Symptome Platz zu machen. Langeweile kommt so immerhin nicht auf.

Allem Imperativ zum Trotz – statt Einsicht herrscht beim Hobbyathlethen (also mir) meist kognitive Dissonanz. Das die anderen zu viel trainieren, zu wenig regenerieren, zu viel Stress haben ist klar. Nur man selbst ist die letzte Bastion der Vernunft. Überall Geisterfahrer!

Wissentlich habe ich die letzten Monate eine Gratwanderung vollzogen bei der ich auch hin und wieder mal abgerutscht bin. Die Projektphase ist jetzt quasi abgeschlossen und in den nächsten Wochen kehrt so langsam Normalität ein. Hat sich mein Immunsystem wohl gleich mal im Kalender rot markiert um nach dem ganzen Stress mal gepflegt die Flügel zu streichen, natürlich begleitet von zu hartem Training (die Gebote sind ja eh für andere da).

Aus dem Buch von Joe Friel gibt es so viel treffende Passagen zu zitieren, die alle darauf abzielen eben nicht zu übertreiben, nicht krank zu werden, nicht ins Übertraining zu rutschen, Verletzungen zu vermeiden. Netterweise sind sie auch selten im Imperativ formuliert. Aber es liegt an uns allen, genau diese Punkte zu sehen und zu berücksichtigen, das richtige Training für den Tag auszuwählen.

Denn letztlich ist man in seiner eigenen ganz persönlichen Alterklasse der Profi-Athlet. Kein Hobbysportler trainiert wie der andere. Andere Zeiten, andere Verpflichtungen, anderer Stresslevel. Der einfachste Weg damit zu scheitern ist, andere zu kopieren. Eine andere gute Möglichkeit – und das ist mir mal wieder passiert – ist, davon auszugehen, dass der Sport- vom Alltag getrennt ist.

An einem Tag mit Stress im Job, oder privaten Sorgen, machen harte Trainingseinheiten wenig Sinn. Dem Körper ist es ziemlich schnuppe, woher der Stress kommt – da gibt es keine Grenze und mit Vorermüdung, hohem Stresslevel und anderen Dingen sind wir alle tagtäglich konfrontiert. Der Gedanke das „wegzutrainieren“ ist verlockend aber gefährlich.

Ähnlich sieht es aus, wenn man nach der Trainingseinheit schnell in die Dusche stürzt und wenige Minuten später schon wieder im Alltag steckt. Wo ist die Regeneration? Hier braucht man nicht noch einen Stressimpuls mehr, sondern Achtsamkeit.

Vielleicht brauche ich doch ein sportliches „Mind the Gap“, dass mir als schlechtes Gewissen immer dann, wenn ich zu Übertreibung neige, per Lautsprecherdurchsage klar macht, welches Trainingsgebot ich gerade über den Haufe werfe. Oder vielleicht sollte ich mal wieder etwas häufiger meine persönlichen Lauschangriff starten.

Mind the stresstest … Stand clear of the doors!

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3 Kommentare

  1. Wie wahr, wie wahr. Und auch wenn ich vermute, dass der Tipp mit dem Bildschirmschoner/ Hintergrund schon etwas sarkastisch gemeint war, finde ich das gar nicht mal so eine schlechte Idee.
    Liebe Grüsse
    Ariana

    • Ein bisschen Warheit steckt da auch schon drin. Ich habe vor allem während meines Fernstudiums gemerkt, dass man – um Gewohnheiten zu verändern – alle möglichen Tricks braucht.
      Am Anfang ist es ganz schwer und irgendwann fällt die „Krücke“ weg.

      Es ist wie mit der Aufschieberei – ich schiebe seit Wochen Dinge auf, mit denen ich genau dem entgehen wollte, was mir jetzt passiert ist. Manchmal braucht man eben die harten Rückmeldungen. Wer nicht hören will muss fühlen ;-)

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