Aufschrei! #bundesjugendspieleweg

Ich schreie auf! Das mache ich öfter, vor allem dann wenn ich Dinge im Internet lese. Nun ist das selten einen Blogeintrag wert, denn die meisten Dinge, die mich zum verzweifeln bringen, passen nicht ins Blog.

Aber diesmal kann ich nicht anders, vor allem weil es so schön relevant ist. Unter dem Hashtag #bundesjugendspieleweg kursiert die Diskussion, die durch die Petition einer Mutter angestoßen wurde.

Hier das Corpus delicti:


Nun kursiert passend dazu in den Medien aktuell eine Studie, die ein grausames Bild über das Leben von Kinder und Jugendlichen zeichnet. Passt wie die Faust auf’s Auge, oder?

Viele sind überlastet und fühlen sich bereits ausgebrannt. Darum fällt der obige Reflex leicht – zu viel Streß, also Streß abschaffen. Nun wird öfter mal offensichtlich z.B. in der Schule der Druck reduziert nur um im Gegenzug den indirekten Druck durch Erwartungshaltung in den Familien hoch zu halten.

Und warum glaube ich jetzt darüber schreiben zu müssen? Weil ich ein Teilnehmerurkunden-Kind bin! Weil ich einer der Sportversager der Schule war. Weil meine schlechteste Note immer die Sportnote war. Weil einer der war, die als letzter in die Mannschaft gewählt wurden.

In der 10. Klasse habe ich eine 5 in Sport bekommen, weil ich von 10 Badminton Aufschlägen keinen übers Netz bekommen habe. Da fällt ein Sportlehrer ein Urteil über meine Fähigkeiten in dem er etwas vorgibt, was ich nicht kann. Keine andere Chance … ausgeliefert dieser Herausforderung hab ich eine 4 in meinem Abschlusszeugnis in Sport. Die schlechteste Note!! Das saß.

Und die Bundesjugendspiele? Die waren eigentlich immer die Hölle. Ich habe mich nie darauf gefreut, aber immer irgendwie mitgemacht. Vor dem Ausdauerlauf habe ich mich stets gedrückt – eine Runde um den Fußballplatz hätte mich gekillt. Ebenso Ballwurf … konnte ich nicht! Ich habe mich mit Sprint, Weitsprung und Kugelstoßen über Wasser gehalten und damit hin und wieder eine Siegerurkunde bekommen.

Ich erinnere mich heute noch an das Jahr, an dem die Teilnehmerurkunden eingeführt wurden. Da war ich noch jung und fand das blöd, weil ich ziemlich genau wusste, dass das Papier „nix“ Wert ist. Vorher bekam ich nichts und fand das gar nicht doof. In dem Alter war der Spaß dabei zu sein wichtig. Aber diese blöde Teilnehmerurkunde war einfach Mist.

Und was hat dieser jahrelange Frust jetzt mit mir gemacht? Ich habe trotzdem die Zähne zusammen gebissen, ich bin jedes mal an den „Start“ gegangen und mich kein einziges mal vor den BJS gedrückt. Ganz oft stand ich vor der Wertungstabelle und habe überlegt wie ich noch meine miese Leistung gerade rücken kann um irgend etwas zu erreichen. Meistens half es, beim Sprint alles zu geben – dort konnte ich mit den Sportlern (welche die Ehrenurkunde abonniert hatten) mithalten und habe mir ein paar Siegerurkunden ersprintet … die Kotzgrenze kannte ich damals schon.

Alles in allem kein sonderlich freundliches Bild meiner Schulsportkarriere, dennoch bin ich weder traumatisiert noch unsportlich. Nein ganz im Gegenteil – denn nicht jede Erfahrung der Kindheit/Jugend legt Wege und Entscheidungen bis ins hohe Alter fest. Was hätte es denn gebracht, wäre ich diesem Frust nicht ausgesetzt gewesen?

Ich hätte sicher nicht gelernt, dass man sich auch dort anstrengen kann, wo man nicht so gut ist. Ich hätte nicht versucht so gut zu sein, wie ich eben kann – sondern mich mit dem abgefunden, was ich denke zu können. Manchmal hat mich diese Underdog-Situation sogar dazu befähigt, einfach alles aus mir heraus zu holen … wie das eine Jahr in dem ich (weil die „Alterklasse“ in diesem Jahr gut war) mit vollem Einsatz meine erste und einzige Ehrenurkunde erkämpft habe. Danach ging es wieder bergab in die Bundesjugendspiel-Unterwelt. Aber egal!

Was wenn alle Kinder und Jugendliche gleich gut wären? Die unangenehmen Erfahrungen würden fehlen. Was wenn sich die Kinder gar nicht mehr messen? Die positiven wie auch negativen Erfahrungen wären unwiederbringlich weg.

Darum frage ich – was ist so schlimm an einem Kind in einer Frustsituation? Wie viel kann der heulende Sohn aus dieser Situation mitnehmen, wenn man ihm die Chance gibt zu verstehen, was passiert ist, wenn man klar macht, dass Menschen unterschiedliche Begabungen haben, wenn man zu verstehen gibt das nicht jeder ein Sieger sein kann, wenn man ihm dazu Kraft gibt und Verständnis zeigt. Das wäre eine viel größere Hilfe, als die BJS abzuschaffen. Wir sollten Möglichkeiten schaffen mit Fehlern, mit Problemen und ähnlichen umzugehen – so macht man Kinder bereit für das Leben.

Auf Twitter las ich zu der Diskussion „Das Leben ist kein Ponyhof!“ – ja, genau das ist es. Leider gaukeln wir uns selbst das Gegenteil vor. Wir müssen uns nur etwas mehr anstrengen dann ist Familie und Beruf vereinbar. Wir müssen uns nur besser organisieren, dann ist die Work-Life-Balance kein Problem. Von wegen – das sind Ausflüchte. Es kann nicht alles für jeden gut und toll sein – weil Menschen unterschiedlich sind. Es ist wie der Versuch etwas abzuschaffen, was ein Kennzeichen unserer Gesellschaft ist.

In Deutsch, Mathe und Englisch sollen die Leistungen super sein – für die Karriere, für den Job, für die Zukunft. Dort ist Leistung „Pflicht“ – aber wo Leistung bewertet wird, wird auch Minderleistung bewertet. Damit sollten wir umgehen können.

Wir Hobbysportler haben den Schritt gewagt und uns dem freiwillig ausgesetzt. Ob mit sportlicher Vorgeschichte – oder … so wie ich … ganz ohne. Die BJS haben mich nicht versaut, sie haben mich aber auch nicht zu einem besseren Menschen gemacht.

Eines haben sie aber dennoch erreicht … sie haben mich aus meiner Komfortzone bewegt – etwas, das Menschen brauchen um neue Dinge erlernen zu können.

Lasst den Kindern die Bundesjugendspiele – lasst sie gewinnen und lasst sie scheitern. Lasst ihnen aber auch die Freiheit zu entscheiden, ob sie sich ausserhalb der Schule messen möchten. Nicht jeder passt in ein Sportförderprogramm aber auch aus Couchpotatoes können Hobbysportler wie ich werden. Und aus den Sportskanonen, die mich damals bei den BJS platt gemacht haben, sind inzwischen mehrheitlich bequeme Familienväter geworden, die ihren „Dad Bod“ spazieren tragen.

Für die Bundesjugendspiele und für den Frust!

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6 Kommentare

  1. Ich habe es heute auch gelesen und mich genauso aufgeregt wie du! Nur kenne ich die Bundesjugendspiele nicht, weil ich ein „Kind “ des Ostens bin. Wir hatten aber Spartakiaden oder andere Sportfeste.

    Mir ging es so wie dir! Dazu kam dann noch schon in früher Jugend etwas Übergewicht. Und dennoch habe ich mich gerne gemessen und tue es heute noch. Auch wenn ich oft Chancen los bin.

    Ich unterschreibe jedes deiner Worte! Danke das du Luft gemacht hast! Wir müssen aufhören unsere Kinder in Watte zu packen und ihnen von Anfang an alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.

    • Danke für Deine Rückmeldung. Natürlich muss man sagen, dass (so hoffe ich doch) die wenigsten diese Meinung haben. Das Internet bietet eben direkt eine Plattform das loszuwerden. Aber es steckt wohl mehr Wahrheit drin, als es uns lieb ist.

      Letztlich lässt es sich darauf zurückführen, dass unsere Gesellschaft es aufgegeben hat solche Dinge selbst zu lehren sondern das soll die Schule machen. Charakterbildung heißt das eigentlich – denn wer stark durchs Leben geht, kann auch mit so einer Niederlage umgehen. Es sagt ja keiner, das es keine traurigen und wütenden Kinder geben soll … im Gegenteil, das ist ein Ventil.

  2. Ich kann mit dieser Diskussion genauso wenig etwas anfangen wie mit der Frage, ob es politisch korrekt ist, wenn sich Kinder zu Karneval/Fasching als Indianer verkleiden. Natürlich ist es richtig, zu hinterfragen, ob manche Dinge wie die BJS noch zeitgemäß sind, aber Konzepte wie gewinnen, verlieren, erfolgreich sein, versagen usw. sind nun mal elementare Bestandteile für das weitere Leben.

    Ich fände es übrigens viel wichtiger, dass man den Jugendlichen gegen Ende ihrer Schulkarriere mal was zum Thema private Vorsorge erzählen würde. Aber das ist ein anderes Thema.

    • Oh das sprichst Du etwas an, es gibt so viele Dinge die sollte die Schule lieber mal aufgreifen (man muss es ja nicht übertreiben) – leider ist es aber so, dass man die ungleiche Verteilung zwischen den Jugendlichen (die, die noch etwas von den Eltern beigebracht vs. den „Alleingelassenen“) in Kauf nimmt.
      Das gilt ja auch für das BJS-Thema.

  3. Oh Gott. Immer diese #Aufschreie. Was hat man eigentlich damals ohne diese ganzen Online Petitionen gemacht? Hauptsache man macht über Twitter ein Fass auf. Riecht nach Helikoptereltern ;)

    Als Kind fand ich die Bundesjugendspiele auch nicht besonders toll, aber es gab schlimmeres. Ich habe es nur bis zu einer Siegerurkunde geschafft, war aber froh das der Unterricht ausgefallen ist.

    Ich finde den sportlichen Wettkampf aus heutiger Sicht weit aus sinnvoller, weil der Konkurrenzgedanke beim Sport eher förderlich ist und unterm Strich gesehen sogar ein Solidaritätsgefühl fördern.

    Sport wird in den Schulen ohnehin viel zu sehr vernachlässigt.

    • So ist das eben in unserer Gesellschaft – Aufmerksamkeit ist eine wertvolle Währung und die bekommt man mit kruden Thesen am ehesten. (Shitstorm inklusive).

      Du sagst etwas wichtiges, heutzutage sieht man was vllt. wichtig an schulischen Dingen war und was nicht. Genau darum geht es mir auch. Ich hab das damals einfach nicht verstanden, wollte nicht, konnte nicht, fand das doof. Aber dennoch habe ich etwas mitgenommen.

      Genau das sollten wir unseren Kindern nicht abnehmen, die Erkenntnis, dass auch in blöden/anstrengenden/unnötigen/nervigen Aufgabenstellungen ein Lerneffekt liegt und einen das ganz anderen Situationen weiterhelfen kann.

      Ich bin ja schon froh, dass ich meinen Sohn zu etwas Bewegung anstiften kann – auch wenn ihm das nicht so viel Spaß macht wir mir. Aber da sieht man es mal… muss in den Genen liegen, denn als Kind war ich ja auch so *g*

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