die Sache mit der Frustrationstoleranz

[easy-tweet tweet=“Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better. (Samuel Beckett)“ usehashtags=“no“] Unter diesem Motto steht ein toller Beitrag, den ich gestern über Twitter zu lesen bekommen habe. Der Guardian schreibt darüber, wie normal es für Läufer (wobei das für alle Ausdauerathlethen gilt) ist, mit sich und seinen Leistungen unzufrieden zu sein. Also quasi die Ausdauermethode der Frustrationstoleranz.

Egal, wen man zu welchem Zeitpunkt im Wettkampf befragt, es ist das normalste der Welt, dass wir unsere Leistung nach unten relativieren. Verwunderlich, dass es noch keine ICD Diagnose dafür gibt. Spricht man mit Läufern im Vorstartbereich hört es sich meist so an, als wären die meisten soeben von der Intensivstation entlassen worden, hätten quasi „nie“ trainieren können und wenn doch lief alles schief.

Bei den Radfahrern ist es nicht anders. Sind sind prinzipiell alle zu dick (also auch die richtig dürren), zudem kamen sie quasi nie zum Training und wollen heute nur locker mitrollen.

Nicht zu vergessen das allgegenwärtige Vorstart-Mimimi, dass Katrin kürzlich so treffend beschrieben hat. Das bekommt man inzwischen exklusiv über Social Media & Co. … früher wurden damit „nur“ Familien und Freunde penetriert. Im Sinne eines besseren Zusammenlebens kann man es nur begrüßen, dass es Twitter, Facebook & Co. inzwischen gibt … denn die Leidgenossen kennen das schließlich. Immerhin tut ihnen gerade auch alles weh, sie sind krank, haben „nie“ trainiert und überhaupt.

Hat man dann die Ziellinie überschritten ist es weiterhin gleich wie man trainiert hat, ob man die Bestzeit verbessert hat oder ob man überhaupt angekommen ist. Nach dem schmerzverzerrten Gesicht auf der Ziellinie und der ersten Erholung kehrt meist sofort Ernüchterung ein. Es hätte ja noch ein bisschen schneller sein können, bessere Renneinteilung hier und vielleicht dort etwas forscher antreten.

Natürlich hat das auch einen Hintergrund, wir treten (fast) alle nicht an um Platzierungen zu erreichen sondern uns selbst zu schlagen. Das ist in vielen Fällen das Ziel und auf dem Weg dahin, wo wir momentan sind haben wir uns vielleicht schon hunderte Male überwunden und uns geschlagen. Es kommt eben immer noch eines dazu.

Das bringt mich zur Frustrationstoleranz. Damit beweisen wir Ausdauersportler wohl, dass wir diese haben müssen, denn wir setzen uns dem Frust selbst aus. Nie wirklich zufrieden – mit Training, mit Wettkampf, mit Ernährung, mit Gewicht. Die Unzufriedenheit ist unser Normalzustand und trotzdem sind wir zufrieden. Ein Widerspruch? Mitnichten!

Ich zitiere mal aus Wikipedia

Die Frustrationstoleranz ist eine Persönlichkeitseigenschaft, die die individuelle Fähigkeit beschreibt, eine frustrierende Situation über längere Zeit auszuhalten, ohne die objektiven Faktoren der Situation zu verzerren.

Aus gut Deutsch bedeutet das, dass wir es hinbekommen uns mit Situationen die uns unangenehm sind (sei es nun von außen oder von uns selbst verursacht … siehe oben) aushalten können ohne dabei zu vergessen, warum es denn unangenehm ist.

Und mit aushalten meine ich nicht ignorieren sondern adäquate Wege finden damit umzugehen, konstruktiv zu bleiben und nach vorne gerichtet. Für mich persönlich kann ich sagen, dass sich meine Frustrationstoleranz verändert hat, seitdem ich Ausdauersport betreibe, aber warum?

Ausdauersport und Frustrationstoleranz – zwei Seiten einer Medaille?

Frustrationstoleranz zu haben bedeutet, dass man sich nicht von Niederlagen und Schwierigkeiten lähmen lässt. Man ist bereit Widerstände zu überwinden, man bleibt dran auch wenn es länger dauert, man ist bereit auf die sofortige Belohnung zu verzichten wenn man weiß, dass sie später kommen wird.

Das klingt vertraut, nicht wahr? Niederlagen sind uns vertraut. Wer mit dem Sport beginnt kennt erst mal nichts anderes. Der Puls hämmert, die Beine schmerzen aber man ist kaum aus Sichtweite des eigenen Hauses. Wir folgen Plänen. Erst sind sie klein, dann werden sie immer größer.

Niemand kann aus dem Stand einen Marathon laufen, dazu braucht es die lange Sicht der Dinge. Viele Einheiten, viele Kilometer. Dabei startet man mit dem Wissen, die 42,195km eben nicht heute schaffen zu können, aber in 10-12 Wochen. Oder man versucht 300km mit dem Rad zu fahren – zu Beginn eine unvorstellbare Aufgabe, die mit jedem Training einfacher wird… wobei die Trainings nicht einfach sind. Hungerast, Schmerzen, Scheitern … all das sind wir bereit in Kauf zu nehmen.

Früh aufstehen, die Ernährung umstellen, lange Einheiten absolvieren, Krafttraining machen. Das sind Entbehrungen, die von anderen Menschen vielleicht beinahe schon als unnormal angesehen werden. Trotzdem kann der Ausdauersportler damit umgehen. Die Zufriedenheit gewinnen wir aus anderen Dingen und die reichen uns als Kraftspender aus.

Einerseits haben Ausdauersportler die Frustrationstoleranz prefektioniert und zu ihrem Modell erklärt, andererseits beschwören sie regelmässige Unzufriedenheit um die Unzufriedenheit leben zu können. Zwei Seiten einer Medaille. Sehr oft ist es die Triebfeder zu neuem und spannenden, zu neuen Leistungen und Erlebnissen – manchmal ist es auch der erste Schritt zum sportlichen Burn-Out, das sollte einem dennoch bewusst sein. Wie so oft, macht die Dosis das Gift. Ganz nach dem Motto:[easy-tweet tweet=“Aus Lust wird leicht Frust, wenn du mußt. (Waltraud Puzicha)“ usehashtags=“no“]

Tolerant sein ist nicht alles

Aus gegebenem Anlass muss ich allerdings dennoch anmerken, dass tolerant zu sein nicht die Lösung für alles ist.

Betrachte ich die letzten (jetzt sind es schon beinahe 8) Monate – im sportlichen Sinne – so habe ich genügend Frustration erfahren. Davon auch einen guten Teil, den ich mir selbst eingebrockt habe. Nach hin und her, hü‘ und hott, Arztbesuch, Physio, Osteopat & Co. kam es immer wieder zu Frustsituationen.

Ich habe versucht das Beste für mich draus zu machen. Ich habe mir Alternativsportarten gesucht, ich habe mich von Zielen getrennt, ich habe Dinge verändert und auch meine Einstellungen zu gewissen Sachen. Dennoch bin ich der Frustzone noch nicht entkommen, viel mehr zelebriere ich die Frustrationstoleranz.

Nach Wochen der sportlichen Steigerung, von Erfolg, von Zufriedenheit kehrt nun die Unzufriedenheit wieder zurück. Die Schmerzen in der Leiste sind zurück, ich bin zum zweiten mal dieses Jahr krank (damit schon 100% öfter als 2015). Zusätzlich kämpfe ich im Job mit massivem Stress (damit erklärt sich auch die erneute Erkältung). Ich deale an den meisten Tagen der Woche mit Situationen die ich nicht sofort lösen kann, sondern aushalten muss.

Leider führt das auch zu einem Gewöhnungsprozess, den es so langsam zu durchbrechen gilt. Immerhin kann man zwar viel tolerieren, aber man muss es nicht. Ich muss akzeptieren, dass meine Probleme in der Leiste nicht von selbst verschwunden sind, aber ich muss mich nicht mit den Schmerzen arrangieren. Aus diesem Grund habe ich nun – und hier ist der Frust konstruktiv – den Telefonhörer in die Hand genommen und abgecheckt wann es losgehen könnte.

Nun gilt es noch eine Lösung mit dem Arbeitgeber zu finden, denn Frustrationstoleranz kann man auch verlangen, bspw. dann wenn jemand, der gerade alles tut, damit es läuft einfach mal 2 Wochen ausfällt, damit es hinterher weiter läuft. Nur dann sinkt die Unzufriedenheit, der Stress und der richtige Weg liegt wieder vor mir. Und dann sind wir wieder beim Ausdauersport, ich brauche keinen schnellen Gewinn, sondern nur ein Ziel im Blick… und das gehe ich jetzt an.

 

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6 Kommentare

  1. Danke für diesen Artikel. Viele Situationsbeschreibungen sind mir und sicher auch vielen deiner Leser bekannt. Ich musste am Anfang deines Beitrages lächeln und wurde im Laufe der Zeilen immer nachdenklicher. Am Ende ist mir ein wundervolles Gespräch mit meiner Osteopatin, von gestern, eingefallen. Sie sagte „Alle Verletzungen sind Kopfsache“ bzw. alle Verletzungen sind irgendwann nur noch Kopfsache. Wenn der Kopf mitspielt sind auch Verletzungen Geschichte.

    Ich denke wir müssen lernen zufriedener mit uns zu sein. Der Kopf ist das was alles ausmacht. Der Kopf steuert alles in unserem Körper. Wenn der Kopf mitspielt ist alles andere Geschichte und wir können frei und unbeschwert unserem Hobby nachgehen.

    • Danke für Dein Feedback Eric. Ehrlich gesagt ging es mir beim schreiben fast genau so, nur dass auch noch die Nachdenklichkeit am Anfang stand.
      In dem ganzen Verletzungscontent kann man es ja herauslesen. Meist ist der Kopf am Anfang zu schnell und dann irgendwann zu sehr an die Situation gewöhnt.

      Dass wir das alles aushalten können und wollen (immerhin wirft kaum jemand … sogar mit richtig fiesen Problemen… das Handtuch), ist auch ein Zeichen der Toleranz, aber irgendwie gehört eben auch das Salz in die Suppe, dass man zwar hinterher und vorher jammert, aber Zwischendrin mal wieder so richtig ein Ziel hinlegt.

      Aber jedes Tal ist irgendwann durchschritten … ich hätte gehofft meines ist kürzer.

  2. Da fällt mir doch wieder ein….dass das eigentlich der Grund ist, warum ich nicht mehr auf die Zeit schaue beim Laufen. Mir geht es ums ankommen, durchkommen und genießen.
    Fertig. Dann stellt sich die Frage der Frsutrationstoleranz nicht.

    • Vielleicht nicht mehr im Wettkampf, aber ohne Frustrationstoleranz eine WK-Anmeldung abgeben und einem Trainingsplan folgen, geht das? Ein Trainingsplan den man stets erfüllt und der locker von der Hand geht, ist der dann gut oder schlecht?

      Ganz klar, ich hab beim schreiben auch an die vielen WK-Zeit-Verweigerer gedacht, aber die meiste Zeit geht es ja ums Training… und da ist die Frage schon, wenn einem das bloße durchführen einer Einheit schon zufrieden stellt, warum dann überhaupt WK laufen ;-)

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