Individuell rituell – meine Sport Rituale

Was für ein hartes Wort „Ritual“ doch ist. Wahrscheinlich offenbart meine erste Interpretation davon wieder deutlich mehr, als mir eigentlich lieb ist. Aber bei Ritual denke ich an blutige Bräuche, Opfer oder kriegstänze rund um lodernde Lagerfeuer.

Ich bin mir relativ sicher, das alles hat Rebekka aka RunningCherry NICHT im Sinn gehabt, als Sie sich von einer Odlo-Marketingaktion dazu inspirieren lies, ihre eigenen Sportriten zu beschreiben. Um meinem Bildungsauftrag gerecht zu werden, habe ich aber brav nochmals nachgeschlagen und eine Menge Worte gefunden, die ich schon eher mit meinem Sportalltag in Verbindung bringen würde. Worte wie Gewohnheit, Gepflogenheit oder… Achtung! jetzt kommt’s … Zeremonie!

Oh ja, das Wort gefällt mir viel besser. Zeremonien sind etwas tolles, sie sind feierlich, sie sind pompös, sie sind G R O S S! Das mag ich. Wenn ich an Sport und Zeremonien denke fällt mir direkt etwas ein.

Das Wettkampf-Zeremoniell

Kein Wort passt besser für das, was vor einem Wettkampf abläuft als das. Die Wettkampf Zeremonie beginnt schon am Vorabend, wenn ich Nervös wie ein Erstklässler meine Schultasche… öhm… Sporttasche packe. Ich lege mir alle Teile die ich mitnehmen will raus. Zähle alles durch, packe Ersatzklamotten ein, Duschsachen, prüfe nochmals den Chip, druck (völlig unsinnig) fast alles aus, was auf der Wettkampfseite zu finden ist.

Danach bereite ich mein Frühstück vor, ich decke den Tisch, stelle eine Tasse unter die Kaffeemaschine und rühre mir einen Orangensaft mit Chia-Samen an, der über Nacht im Kühlschrank steht.  Ich lege meinen Autoschlüssel parat, stelle den Wecker und gehe früh ins Bett.

Am nächsten Morgen laufe ich wie auf aufgescheuchtes Huhn in der Wohnung auf und ab und versuche möglichst nicht meine Familie zu wecken. Die – durch das vorbereitete Geschirr – gesparten ca. 100 Sekunden vertrödele ich dadurch, dass ich unbedingt noch 3x in den Keller muss, weil dort irgendwelche Sachen sind, die ich noch mitnehmen möchte. Nach Frühstück und nochmaligem Check geht es ab ins Auto und Richtung Wettkampf. Im Auto zelebriere ich eine alte Taktik, die schon im Fernstudium gut funktioniert hat … Musik… LAUT!!!

Vor Ort ist dann meist schon jegliche Aufregung verschwunden. Dann geht es ganz schnell, Startnummer holen, Beutel wegbringen, Starnummer befestigen, Einlaufen (oder Einfahren), Dixie besuchen, in die Startaufstellung und dann spüren wie die innerliche Anspannung den ganzen Trubel rund um einen herum herunterpegelt – und es trotz vieler anderer Menschen still wird… bis zu dem einen Punkt, an dem sich die ganze Anspannung löst und in Energie umgesetzt werden will!

Die Lauf-Gewohnheit

Garmin Forerunner 220Die Lauferei ist mein Brot & Butter Sport. Geht immer, mach ich immer … weil ich den Wettkampf so zelebriere, habe ich mir keine großen Rituale fürs Laufen aufgehoben. Laufen ist oft business as usual, Laufen passiert irgendwo im Alltag. Sehr oft laufe ich Abends nach der Arbeit, nachdem der Sohnemann im Bett ist. Eine Zeit in der ich oft die Entscheidung treffen muss zwischen Couch und Laufschuh.

Darum würde ich das ganze wirklich eher Gewohnheit nennen. Es ist das Laufprogramm. Knopf drücken, abspulen und letztlich loslaufen.

Ich laufe immer mit Uhr, mit der Uhr fängt es an. Ich schalte sie ein, lege sie ans Fenster und sie piept fröhlich wenn sie Telefon, Puls oder GPS-Signal gefunden hat. Während die Uhr die GPS-Satelliten im All erspäht mache ich mich auf die Suche nach den anderen Dingen. In einer großen Blechdose findet sich alles was ich so brauche, Pulsgurt, Pulssender, Kopfhörer. Meist noch 4-11 Ladekabel die mit irgendetwas der oben genannten absolut verknotet sind.

Danach geht’s zum umziehen – ab in meinen Sportkeller an mein Sportklamottenregal. Ich lege nach und nach alles raus was ich so brauche, suche mir ein paar Schuhe heraus und mache mich wieder auf den Weg nach oben. Die Uhr piept schon zum 11. mal, aber ich bin noch nicht viel weiter gekommen. Dann ab ins Bad, umziehen, Pulsgurt ran, Schuhe an. Danach verlege ich meine Kopfhörerkabel (wenn ich Musik dabei habe), suche mir eine Playlist und muss nochmals den Raum wechseln. Denn ich brauche noch meinen Schlüssel, den ich jedes mal wieder von neuem vom Schlüsselbund abmache. Inzwischen ist die Uhr schon genervt und foltert mich und meine Umwelt damit, entweder jetzt weiter zu machen… ansonsten droht sie mit Standby-Modus.

Also Uhr ran, ich informiere meine Frau wo ich hinlaufe und wann ich wahrscheinlich wieder da bin, gehe vor die Wohnungstür und laufe los. Das klingt alles nicht sehr aufregend, aber tatsächlich mache ich es so gut wie immer so, selbst auf Dienstreise. Dort fällt zwar Frau und Keller weg, aber dieses Programm fährt mich in den Laufmodus. Wenn ich dann lostrabe habe ich alles andere schon vergessen.

Die Rad-Gepflogenheit

grumpy roadbike riderBleiben noch die Gepflogenheiten. Für mich klingt das mehr nach Tradition, nach Dingen die man eben tut, weil man sie tut. Das passt auch prima zum Rennradfahren … immerhin tut man als Rennradfahrer viele Sachen, weil man die Sachen als Rennradfahrer eben tut!

Nicht dass man sich als Individuum aufgibt, wenn man sich ein Rennrad anschafft, aber … naja es ist eben wie in jeder Glaubensrichtung, die großen Glaubensführer geben Regeln vor, das ist beim Rennradismus nicht viel anders. Deswegen komme ich auch niemals so schnell mit dem Rad aus dem Haus, wie mit Laufschuhen. Rein von den Fakten her müsste es möglich sein … ist es aber nicht. Höhere Mächte halten mich da zurück.

Das beginnt schon damit, dass ich für eine Radausfahrt vorab die Wetterkarten studiere. Temperatur, Regenwahrscheinlichkeit und Wind beeinflussen immerhin das, was man mitnehmen möchte – und vielleicht auch kurzfristig die Strecke. Als nächstes möchte die Versorgung sichergestellt werden. Also Trinkflaschen befüllen, Riegel bereit legen usw.

Bevor es daran geht sich umzuziehen, folgt der unvermeidbare Blick auf den Zustand der Beinbehaarung. Je nach Zustand muss hier ggf. kurzfristig noch nachreguliert werden. Danach endlich Klamotten an, Radcomputer ans Rad, Reifen nochmals aufpumpen und raus geht es an die frische Luft.

Besinnt euch!

Man sieht schon, mein Sportalltag besteht aus vielen kleinen Dingen, die es mir aber letztlich trotzdem wert waren, darüber zu bloggen. Dafür nochmals vielen Dank an Rebekka für die Ermunterung es doch zu tun. Denn wie so oft, wird einem erst klar, was diese Rituale, die Gewohnheiten, die Zeremonien und die Gepflogenheiten für einen tun. Sie sind Ankerpunkt für das eigene Ich.

Diese ganzen Dinge zeigen mir – „ab hier wird es gleich anders“. Die Rituale sind für mich die Ausstiegspunkte aus der normalen Welt, in die weite Welt des Ausdauersports. Sie sind Spiegel, mit denen ich andere Sichtweisen einnehmen kann und sie sind Scheuklappen mit denen ich Stress und ähnliches ausblenden kann.

Sind sie auch noch so einfach, noch so alltäglich … ohne diese Rituale wäre mein Sport alltäglich – und das möchte ich nicht erleben. Besinnt euch doch auch mal auf eure kleinen Rituale, vielleicht schreibt ihr auch ein Blog darüber … oder überlegt euch einfach, was ihr eigentlich fast immer so macht. Ihr werdet bestimmt überrascht sein, wie rituell ihr euren Sport betreibt.

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8 Kommentare

  1. Ach… so ein paar brutale Riten können doch auch nicht schaden :D Aber ich wollte mein Tofiffee-Schlachten nicht so öffentlich darstellen, es ist schon arg brutal ;)
    Coole Gepflogenheiten, Zeremonien oder Gewohnheiten. Das Laufen mit der Uhr kenn ich, allerdings vergesse ich immer das Aufladen. Läufst du denn mit Trainingsprogrammen so richtig nach Pulsbereichen&Co.?
    Schön aber zu sehen, wie Laufen und Radeln Teil von deinem Leben geworden ist. Das Aussteigen ist toll, irgendwie nimmt man dann eine andere Rolle ein oder schaltet in ein anderen Lebensabschnitt über – so geht’s mir. Und diesen Teil mag ich unglaublich gern.

    • Zum Glück hält der Akku der Uhr relativ lange – für die meisten Läufe reicht es aus, aber den Pulsgurt … naja den habe ich nur aus reiner Datensammelwut dabei. Mir geht es eher darum mit den vielen vielen Zahlen im Rückblick etwas für die Zukunft zu lernen. Mein Trainingsplan richtet sich nur nach Pace.
      Aber wie das eben so ist bei Ritualen und Gewohnheiten … die legen sich auch wieder so schlecht ab. Manchmal laufe ich ohne Pulsgurt (unabsichtlich, weil ich zwar den Gurt dran aber den Sender habe liegen lassen… oder absichtlich bei REKO Einheiten, bei denen die Zahlen eh nichts aussagen) … aber so ein bisschen Trennungsangst steckt da schon dahinter.

      Das mit dem Aussteigen bedingt zum Glück ja nicht ein wiedereinsteigen … während die Gewohnheiten den Ausstieg einfach machen, schleicht sich danach der Alltag zum Glück recht langsam wieder ins Leben (ausser vllt. nach nem Morgenlauf). Das ist um so angenehmer.

    • Wenn beim FR220 Bluetooth aktiviert ist, verbindet sich die Uhr beim Einschalten direkt mit dem Telefon z.B. für Live-Tracking. Deswegen piept das Ding gleich wenn das iPhone irgendwo in der Nähe ist.

  2. … da klingt so einiges bekannt!

    Bei mir dauert das Hin- und Herspringen vor einem Trainingslauf, bis man alles entknotet und eingesammelt hat, durchaus mal so lange, dass meine Laufuhr schon wieder zurück im Uhr-Modus ist und ich die Satellitensuche von vorne beginnen muss.

    Und zur Datensammelwut: Ich teste aktuell einen Activity Tracker. Eigentlich finde ich die Daten langweilig, aber wenn man das Ding schon einmal hat, muss es nun auch immer und überall dabei sein!

    • Ja das mit der Satelllitensuche tritt öfter mal auf. So lange es nicht stört, ist es ein Ritual und damit alles OK. Allerdings ist es Morgens manchmal nervig – ich stehe für Morgenläufe am WE um 5:00 Uhr auf, nach meinem Wochenendritual ist es meist deutlich nach 6 Uhr bis ich loslaufe ;-)

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