Stimmungsnest

Vor kurzem erst hat Frau Schmitt eine Ode an den Laufsport verfasst. Die Ode war gut versteckt, in dem Hinweis darauf, dass mehr Marathon im Fernsehen doch zuträglich wäre, mehr Leute zu motivieren. Die Medien haben aber eben so eine eigene Beziehung zu Ausdauersportarten. Ein paar Laufveranstaltungen finden in die dritten Programme, dank Internet wird so das ein oder andere Ding noch im Internet gestreamt. Aber sind wir doch mal ehrlich, die meisten Zuseher sind Läufer. Radsport findet in den öffentlich rechtlichen Dank Doping-Thematik auch nicht mehr statt.

Als letztes Jahr der Ironman Hawaii gestreamt wurde habe ich da auch so nebenbei zugesehen. Schöne Landschaft und Leute die wie die blöden 180km mit dem Rad schnurgerade Straßen entlangfahren. Dafür braucht es schon einen hohen Enthusiasmus um sich das stundenlang anzutun. Ich gebe es zu, obwohl ich gerne mal reinschaue … bin ich doch lieber Anwender als Konsument.

Vor nicht all zu langer Zeit war ich ja eine absolute Unsportskanone – aber immerhin konsequent auf ganzer Linie. Ich stand nie an Spielfeldrändern und Sportübertragungen haben mich nicht interessiert. Also hätte ich auch nie im Leben den Berlin Marathon angesehen oder Triathleten dabei beobachtet wie sie meinen Wochenumsatz an einem Tag verbrennen.

So wirklich geändert hat sich das nicht. Also ich den Obermain Halbmarathon lief, gab es hin und wieder sog. Stimmungsnester. Gerade bei so einem Landschaftslauf fällt das einem viel mehr auf, als bei einem Stadlauf. Immerhin läuft man längere Strecken einfach durchs nichts. Links eine Bahnschiene, rechts eine Wiese. Abwechslung hat man durch rechts eine Bahnschiene und links ein Gewässer. Aber ein Dorf (vulg. Nest) macht allein noch kein Stimmungsnest. Ich habe Orte durchquert in der zwei Mütter mit Kinderwagen auf einer Bank saßen … Stimmung  im Nest gleich Null. In anderen Orten ging dagegen die Post ab. Gefühlt 100 … real ca. 10 Leute machen dort ein Remmi-Demmi das sich gewaschen hat. Meist sind es irgendwelche Vereine, die neben der Laufstrecke auch noch Bierbänke inkl. Bier platziert haben und Vereinskollegen oder persönlich bekannte Läufer anfeuern.

Wo sich im gut organisierten Stadtlauf der Sponsor freut, wenn die Klatschpappe verteilt wird – greift man im Stimmungsnest meist eher zu profaneren Mitteln. Töpfe und Kochlöffel, Schellenbänder, Ratschen und … auch 2014 immer noch anzutreffen … Vuvuzelas säumen den Weg.

Da frage ich mich doch, ob diese Leute sich auch die Übertragung des Boston-Marathon ansehen… oder – noch viel profaner – sich für die Ergebnisse des Obermain Marathon interessieren? Klar, jetzt kommt wieder die große Kritikkeule zum Thema Laufsport. Alles nur noch Event – es geht nicht mehr um den Sport usw. usw. … mir soll es ja recht sein.

Was wären die ganzen Wettläufe ohne das Gejubel und die Anfeuerungsrufe der Zuschauer. Ich gebe es zu, das macht einen Lauf auch aus – und das ist auch der Grund warum ich lieber in städtischen Gebiet laufe anstatt mich im Wettkampftempo Waldautobahnen entlang zu hetzen. Landschaft, Strecke, Ruhe… hab ich alles an 340-350 Tagen im Jahr. Wettkampf ist Adrenalin und das pushen die Zuseher und Passanten.

Ohne Stimmungsnest, ohne Samba-Trommler, ohne die kleinen Kinder die abgeklatscht werden wollen wäre es langweilig – wir Läufer brauchen doch die Konsumenten, die Nicht-Läufer die sich ein paar Minuten Zeit nehmen und sich von der Stimmung beflügeln lassen. Auch wenn keiner von Ihnen über die Pace sprechen will, keiner wissen möchte welches Frühstück man vor dem Lauf zu sich genommen hat, keiner sich auch nur ansatzweise fragt ob man Pflaster auf den Brustwarzen braucht… nee die Leute interessieren sich nicht für Fakten, sie wollen Stimmung… Lärm machen, Anfeuern, Spaß haben – und ich kann sie verstehen!

Da bewundere ich meine Frau – die nicht nur stoisch meine Sperenzien rund um den Laufsport aushält sondern mir hin und wieder dezent einen Link mailt oder mir einen Flyer bzw. einen Ausschnitt aus einer Zeitung hinlegt mit dem Hinweis auf einen Lauf in der Gegend. Und dann lässt sie es sich nicht nehmen, fährt auch noch mit und sieht zu wie hunderte (oder mehr) Leute vor mir ins Ziel kommen…. jubelt, macht Lärm, feuert an und hat Spaß. Zusammen mit meinem Sohn hat sie sogar Fan-Shirts und harrt sogar beim Halbmarathon der Dinge bis ich endlich für wenige Augenblicke vorbei laufe. So habe ich mein persönliches kleines Stimmungsnest … und das macht die Strapazen beim finden von freien Trainingszeiten, beim hin und her schieben und umdisponieren … beim Morgen- und Abendlaufen wieder wett. Die Familie trägt die ganzen Spinnereien mit … und hat noch Spaß dabei.

Allemal besser als zu Hause auf der Couch einen Marathon im Fernsehen zu sehen ;-)

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2 Kommentare

  1. Hey Daniel
    Wenn du Anfeuern, Zuschauer teils in 3’er-Reihen und Anfeur’n stehst musst du unbedingt mal den WELTKULTURERBELAUF in Bamberg mitlaufen. Ich bin schon viele Läufe Geläufen, aber Bamberg toppt alles. Der Lauf findet aber nur alle 2 Jahre statt, das nächste mal im Mai 2015. Angeboten werden 4,6 / 10,9 / 21,1 Km.
    Gruß Alex

  2. Hallo Daniel,
    so ein ganz persönliches Stimmungsnest ist schon toll.
    Da beneide ich Dich wirklich drum. Meine Familie unterstützt mich auch schon richtig gut indem sie mir die Freiräume zum sporteln einräumt und auch mal am Wochenende für Wettkämpfe auf mich verzichtet. Ohne dieses „Dulden“ wäre der Sport für mich sonst kaum möglich – Du kennst das ja auch. Aber so enthusiastisch, dass sie mich auch noch beim Wettkampf anfeuern – oder gar eigene Fanshirts tragen – damit kann ich nicht dienen. Wirklich toll sowas. Dafür kannst Du sehr dankbar sein.

    Ansonsten teile ich Deine Auffassung zum Wettkampf. Da ist mir etwas Trubel und Unterstützung auch lieber als Ruhe und Frieden.
    Viele Grüße,
    Thomas

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