Karwendelmarsch 52km latschen durch Kiefern

Marsch ist ein Wort, dass bis vor einigen Jahren komplett aus meinem Vokabular verschwunden war. Klar, als Kriegsdienstverweigerer musste ich nicht marschieren und auch sonst tut das heutzutage kaum jemand – wenigstens nicht freiwillig.

Die letzte Zeit vernehme ich es wieder häufiger. In meine Filterblase haben sich Langstreckenwanderer eingefunden, die dann an Veranstaltungen teilnehmen die irgendwas mit XYZ-Marsch heißen. Meist mit dem Ziel 100km in unter 24h zu bewältigen.

Der Karwendelmarsch ist da gar nicht so viel anders. Immerhin war und ist es auch eine Langstreckenwanderung, die seit ein paar Jahren aber auch immer mehr Anklang bei Trailrunnern findet.

Grundsätzlich könnte sich der geneigte Leser zu diesem Zeitpunkt eventuell fragen, warum denn der Typ schon wieder über die Berge schreibt. War der nicht erst beim ZUT Supertrail und meinte dann quasi ohne weiteres spezifische Training sich im Pitztal die Kante zu geben.

Ähm… also… das war so. Ach hört am besten den aktuellen Schnaufcast. Dort stellt mich Flo zu diesem Thema und ich erkläre wie es in unserer Familie so läuft wenn es um Urlaube, Läufe und ähnliches geht. Unseren Familiensommerurlaub verbringen wir dieses Jahr nämlich ganz zufällig am Achensee und der ist ganz zufällig das Ziel des Karwendelmarsch. Verrückt nicht wahr?

Natürlich habe ich jetzt auch seit dem Pitztal weiter konsequent nicht mehr richtig trainiert. Ich war weiterhin laufen, immerhin etwas häufiger. Die ganzen Tools, die tolle Grafiken anzeigen haben daraufhin aufgehört, die Trendlinie schnurstracks Richtung Nullpunkt weiterzuziehen. Also perfekte Bedingungen für den Karwendelmarsch, den zweiten offiziellen und dritten Ultralauf überhaupt und eben schon wieder durch die Berge.

Wir reisten Freitags an und machten auf dem Weg ins Feriendomizil einen Umweg über Scharnitz. Startpunkt des Karwendelmarsch und Ort der Startnummernausgabe. Die 52 Laufkilometer stehen einer ca. 1h Autofahrt entgegen bei der man ums Karwendel herumkurvt. In der Ferienwohnung angekommen nach wenigen Minuten die große Überraschung. Unsere Vermieterin fährt am Samstag ihren Mann und ein paar Freunde zum Start. Große Erleichterung bei meiner Frau, die zusammen mit dem Sohn tatsächlich um 4:30 Uhr den irren Ausdauersportgatten ums Bergmassiv gekarrt hätte, um dann wieder zurück zu eiern. Das ist echte Liebe!!!

Meine Nacht war dann aber dennoch kurz. Um 3:15 Uhr klingelt mein Wecker und ich kippe zwei Kaffee und einen Liter Sportgetränk in mich hinein. Von Hunger leider keine Spur, immerhin kriege ich noch ein Nutellabrot runtergewürgt. So sitze ich also um 4:00 Uhr im Auto der Vermieterin und lasse mich noch etwas dösend im Auto umherschaukeln, ich bleibe aber wach. Für einen Powernap reicht es nicht mehr. Draußen sieht man im Osten Wetterleuchten und je näher wir Richtung Mittenwald kommen, desto mehr regnet es. Netterweise hört es in Scharnitz dann auf. Puh! Dafür hätte der Inhalt meines Laufrucksacks nicht gereicht.

Ich stelle ich in eine unendlich langsam voranschreitende Kloschlange und bin froh, dass ich im Regelfall die wichtigsten Dingen des Lebens bereits vor den allermeisten Wettkämpfen erledigt habe. Aber es hilft nichts. Um mich herum höre ich im Startgelände übrigens erstaunlich oft einen mittelfränkischen Zungenschlag. Irgend ein Verein aus dem Nürnberger Raum sei wohl mit ca. 34 Leuten angereist. Wobei… bei 2.500 Läufern, Wanderern und Nordic Walkern fallen die auch nur für mich sonderlich ins Gewicht.

Knaller, Köllner und Karwendel

Ansonsten ist alles wie immer. Hinunterzählen, viel zu lauter Böllerschuss und schon geht es los. Die Läufer machen sich zuerst auf die Strecke. Wenn ich die Zeitmessprotokolle richtig verstanden habe kommen ca. 650 von geschätzten 710 Läufern über die 52km an. In der 35km Lauf-Wertung gibt es nur ganz wenige. Das ist mal eine Aussage.

Dazu kommt, dass ich in der Startaufstellung manche Leute sehe, die weniger Ausrüstung bei sich tragen, als mancher City-Halbmarathon Läufer. Da stehen tatsächlich Menschen mit NIX. Sie tragen Laufklamotten (wenn überhaupt) und haben keinen Trinkgürtel oder sonstiges. Einige laufen mit Singlet und Shorts, tragen aber Stöcke (einer davon ist geschätzt Ende 60 und hat Beine die dünner aussehen als meine Arme).

Alles eine etwas andere Welt hier. Ich falle mit Laufrucksack und Stöcke nicht auf, aber das ist kein „Trail Event“, soviel ist sicher. Immerhin habe ich mich auch schon gefreut spartanischer an den Start zu gehen, ohne Getränke wog mein Pitztal-Rucksack sicher schon fast 3-4kg. Diesmal hatte ich die Windjacke dabei, die Stöcke, Gels und das erste Hilfe Päckchen. Mehr nicht.

Nach dem Startschuss trabe ich locker los. Diese Übung habe ich inzwischen drauf. Ich werde noch lange genug unterwegs sein, da ist es besser die Kräfte einzuteilen. So gehe ich kleine Anstiege und laufe sonst locker vor mich hin. Wo es abschüssig ist lasse ich es leicht rollen.

Ein paar Meter nach dem Start läuft ein Köllner. Warum ich das weiß? Weil er Morgens um kurz nach 6 Uhr in höchster Lautstärke auf Köllsch irgendwelche Lieder brüllt. Das Ergebnis ist, dass ich schneller laufe und gefühlt machen das andere auch. Auch eine Art um in Gang zu kommen.

Im Gegensatz zu den letzten bergigen Sportwettkämpfen fühle ich mich an diesem Morgen mal ganz gut. Bei ZUT und PAGT war ich irgendwie unfit am Morgen. Dennoch teile ich mir früh die Kraft ein, ich habe mich offenbar gut eingeordnet und gehe die ersten Anstiege um dann weiter zu laufen. Gleich am Anfang gehe ich schon zügiger als manche laufen. So spart man Kraft.

Auf dem Weg ins Karwendel geht es auch mal leicht bergab, wo ich es rollen lassen kann. Die Ausblicke sind jetzt schon grandios. Die Wolken werden nach und nach vom Wind vertrieben und hinter den Berggipfeln kann man die aufgehende Sonne vermuten. Nach kurzweiligen 9km (das ging echt fix) folgt schon die erste Labestation an der das motivierende Schild steht, dass nur noch einen Marathon ausweist. So richtig Hunger habe ich immer noch nicht. Ich trinke ein Wasser mit Salz, einen Tee mit Zucker und esse eine Handvoll Kekse und ein Stück Banane. Danach geht es weiter. Wie sich das gehört zähle ich die VPs rückwärts und laufe von VP zu VP. Mental kleine Brötchen backen.

Vorerst geht es noch flach dahin, aber am Ende des Tals kann man vermuten, geht es nicht mehr flach weiter. Der erste Anstieg kommt. Die Ausblicke werden immer spektakulärer. Für Bergliebhaber ist das ein echtes Schmankler. Ein Blick zurück und man sieht die Morgensonne die rauhen Karwendelgipfel leuchten lassen. Unten im Tal die neonbunte Läuferherde.

Ich laufe auf den ersten Anstieg zu und fummle meine Stöcke aus dem Rucksack. Gleich geht es los. Wie weit es bis zum Karwendelhaus – der zweiten VP – ist, weiss ich nicht, aber ich weiss es geht bergauf. Im Anstieg dann eine kleine Überraschung. Neben mir fragt mich jemand ob ich denn aus Bayreuth wäre. Mit dem Satz: „Na dann bist Du ja echt der Endurange“ bin ich enttarnt. Marcus kommt bei mir aus der Gegend und läuft auch zum ersten mal den Karwendelmarsch. Am Schluss übrigens gut eine halbe Stunde schneller als ich. Glückwunsch dazu Marucs!

Crash, Boom, Bang

Ich gehe also zügigen Schrittes zum Karwendelhaus hinauf. Die Läufer sieht man an immer schön wie an der Perlenkette aufgefädelt laufen. Oben super Weitblick und auch sonst ist alles ganz schön toll hier. Die zweite Labe ist nicht mehr weit, bei einem blöden Schritt vertrete ich mir allerdings mal wieder den linken Knöchel. Nachdem ich seit Jahren Rechtsknöchel geplagt war, hat nun wohl die andere Seite zugeschlagen. Jedes mal wenn es ausgeheilt ist geht es wieder los. Sehr ärgerlich.

Da lief ich dieses Jahr hunderte Kilometer Trail, Treppen und schwieriges Terrain in der ZUT Vorbereitung und hatte mir auf einer schnurstracks geradeaus führenden Waldautobahn unweit von Zuhause bei Hügelintervallen den Knöchel verknickt. Während der Trabpause!! Murphy sei dank. ZUT dann nur leicht umgeknöchelt, keine Probleme aber während meiner Fichtelgebirgstour vor einiger Zeit hat es mich wieder voll erwischt. So sehr hatte es noch nie wehgetan, nur angeschwollen war es nicht. Dann wieder alles gut, aber auch beim PAGT wieder umgeknickt – wieder nur etwas Schmerz und danach konnte ich weiterlaufen. Zu diesem Zeitpunkt auch wieder kleiner Knacks, konnte den Fuß voll belasten, also weiter.

Oben angekommen gab es Verpflegung. Ich habe Getränke nachgefüllt, das allgegenwärtige Hollerwasser verköstigt und ein Wasser mit Salz getrunken. Dann ein Käsebrot geschnappt und weitergegangen und reingemümmelt. Auch mal eine tolle Verpflegung.

Danach folgte ein Downhill. Ich fühlte mich immer noch super also lies ich nach und nach die Handbremse los. Das Terrain war nicht sehr anspruchsvoll, so nahm ich mehr und mehr Tempo auf, bis es dann passierte.

Premiere als Läufer. Ich laufe inzwischen auf dem Schotterweg sicher in einer 5er Pace bergab, vielleicht sogar schneller. Habe einen guten Flow, als ich wieder umknicke, diesmal mache ich aber den vollen Abflug. Ganzkörperbremse auf Schotter, Krampf im rechten Bein. Rechter Unterschenkel aufgeschürft, das Knie blutet, Ellenbogen und Schulter rechts aufgeschürft. Alles Dinge die ich erst in der Feriewohnung genau wahrnehme, der Blick in den Spiegel verrät – alpines Trailrunning ist keine Null-Risiko-Sportart. Ich sehe nur das Knie, ziehe den Kompressionsstrumpf wieder über die Schürfwunde und vertraue  auf meine erstklassige Blutgerinnung.

Ein paar Leute bleiben stehen, einer hilft mir auf, aber ich kann alles belasten, muss nur kurz den Krampf rechts rausdehnen. Jetzt tut der linke Knöchel weh, aber das Adrenalin schickt mich weiter. Sicherheitshalber laufe ich mit Stöcken bergab und etwas langsamer. Wie immer vergehen die Schmerzen und ich laufe weiter. Das war bei KM 21.

So nehme ich etwas Tempo raus und laufe weiter zum kleinen Ahornboden wo ich mich erstmal wieder ordentlich verpflege und dann wieder anlaufe. Es tut schon etwas weh im Knöchel, aber ich kann locker laufen, dort wo es unwegsam ist nehme ich die Stöcke zur Hilfe und bergauf wird eh fast nur gegangen.

So schraube ich mich mit 2-3 Leute die immer in Sichtweite bleiben nach oben. Zwischenzeitlich wird es mal so richtig steil und der Anstieg liegt kräftig in der Sonne. Meine Softflasks sind schon leer und ich muss regelmässig mal stehenbleiben um Kraft zu tanken. Oben kann ich die Falkenhütte schon sehen, aber erst kämpft man sich noch über eine Wiese mit grossen Stiegen nach oben, je weiter man zur Hütte kommt desto steiler wird es. Ich bin nicht der einzige, der hier kämpft.

Verdammt war ich froh, als ich endlich oben war. Trinken, Trinken, auffüllen, Kleinigkeit essen und dann entdecke ich da diese Haferschleimsuppe. Einfach super! Nichts an diesem Tag schmeckte besser als diese Suppe. Das war genau das richtige. Ich hab noch einen Tee mit Zucker nachgekippt und mich auf den Weg gemacht.

Jetzt wird’s eng

Erst geht es bergab um dann ein Geröllfeld zu queren und wieder einen Sattel hochzusteigen. Hier passiert es dann zum letzten mal, aber dann ist das Unglück wohl auch passiert. Wieder umgetreten, unachtsam auf einen Stein gelatscht. Diesmal sticht der Schmerz so richtig. Kacke. Kids, don’t try this at Home … und ganz wichtig, dieser Blog hat keinerlei Vorbildcharakter. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich bei einem Traillauf in den Bergen den Knöchel verknickt, wenn man sich schon verletzt hat ist sehr hoch. Es wäre schlau dann zu überlegen auszusteigen. Ehrlich!

Ich laufe aber weiter, einen Stöcke helfen, bergauf geht es, gerade hin geht es … bergab geht es nicht. Ich kann und will zu dem Zeitpunkt nicht mehr bergab laufen. Im Kopf spiele ich mit dem Gedanken, bei 35 auszusteigen. DNF und so. Geld für den Bus hab ich dabei, 35km diese Strecke … wirklich toll.

Erstmal muss ich aber von der Lalidersalm runter in die Eng, es kommen viele Wanderer entgegen. Ich gebe bergab kein sehr dynamisches Bild ab. Typisches Downhilltempo dieses Jahr, würde ich sagen. Bekannt aus der Endphase von ZUT und PAGT. Ich habe inzwischen Übung auch in dieser Phase noch etwas schneller als ein Wanderer die Berge hinabzukommen. Dynamisches Trailrunning ist das nicht mehr.

Unten sehe ich die Engalm. Da steht ein Torbogen. Es ist sehr steil und felsig, wie überhaupt die Streckenbeschaffenheit beim Karwendelmarsch ziemlich heruasfordernd ist, wie ich finde. Der ZUT mag mehr Höhenmeter haben, aber die Karwendelmarsch Strecke ist deutlich anspruchsvoller – weil abwechslungsreicher. Viele Schotterwege und oder Geröll, egal ob bergauf oder bergab die Kraft kosten und auch mal sehr schmale und verwurzelte Singletrails. Ebenso Abstiege mit sehr großen Stufen.

Am Ende des Abstiegs trabe ich zur Verpflegung, trinke, fülle auf, trinke, Salz mit Wasser, Gemüsebrühe, Kekse. Ich gucke mich um. Mich fragt ein älteres Wander-Ehepaar – bestimmt schon an die 70 – wie weit ich denn hier schon gekommen wäre. Ich antworte 35km, die Frau lacht und sagt, dann haben Sie das meiste ja schon geschafft. That’s the spirit!

In meinem Kopf verschwindet der Gedanke an den Ausstieg. Mir ist heiß – ich halte meinen Kopf unter die aufgestellte Dusche und trabe im Zeitlupentempo weiter, damit war die Entscheidung getroffen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie mein linker Fuß unter dem Kompressionsstrumpf unnatürliche Dellen und Beulen entwickelt. Mist. Aber jetzt bin ich ja schon wieder losgelaufen. Wird schon gehen.

Egal, gleich geht es bergauf und das auch noch im Wald. Dort ist es schattiger. Ich nehme meine Cap ab und marschiere schon etwas langsamer bergauf. Die Verpflegung an der Engalm hat nicht gereicht, also schiebe ich das zweite Gel des Tage nach. Marcus überholt mich wieder und wir tratschen kurz, bevor er weiter zieht. Ich schiebe mich nach oben. Es ist warm, mir schwinden die Kräfte.

Oben kann ich schon eine Alm erahnen. Also weiter gehts. Es handelt sich um die Binsalm und ich höre mein Gehirn vor lauter Verzweiflung bestimmt 10x sagen: „Hallo I bims die Alm“ … so viel zu meinem mentalen Zustand. Ich nehme mir vor, was mir im Pitztal schon geholfen hat. Wenn ich oben bin, dann setze ich mich hin und komme etwas zur Ruhe. Den Tagessieg überlasse ich anderen (der Sieger war zu der Zeit übriges schon lange im Ziel).

Gesagt getan, trinken und etwas essen. Mit einem weiteren Getränk setzte ich mich ein wenig Abseits hin und beobachte das Geschehen. Hier sind Leute mit Wanderstiefeln deutlich zügiger Unterwegs als ich, da sind Leute mit Ausrüstung, aber auch welche die einfach eine kurze Hose und T-Shirt tragen. Der Karwendelmarsch ist schon eine coole Mischung an Leuten.

Nach ca. 10 Minuten signalisiert mir mein Körper, dass er wieder etwas leistungsbereiter ist.

Latschen durch Kiefern

Es geht auch ab  der Binsalm weiter nach oben. Wenigstens versteckte sich kurz die Sonne mal hinter einer Wolke. Aber dennoch war es sehr warm. Es passierten mich immer wieder Leute, die ich bereitwillig vorbeiließ. Nach einiger Zeit bog der Weg Richtung Gramaisattel auf einen sehr schmalen Wanderweg ein. Vielleicht war es nur mein Kopf, aber ich meine, da ging es ganz schön abwärts. Durch die Wärme war mir leicht schwummrig, also viel trinken und hin und wieder stehenbleiben. So war ich für schnellere auch keine Behinderung.

In Wirklichkeit ist es dort natürlich wunderschön, überall Latschenkiefer, toller Ausblick, super abwechslungsreicher Wanderweg. Aber das ist mir alles erst hinterher eingefallen, ehrlich!

Auf dem Weg nach oben passierte ich eine älteren Herren, der sich ganz und gar nicht gut anhörte, aber noch gut aussah. Er ging vor sich hin, hatte aber sichtlich mit Wärme und Anstieg zu kämpfen. Ich schob mich vorbei und nahm die Aufmunterungen der absteigenden Wanderer entgegen. Angeblich gleich geschafft. Nur vertraue ich darauf nich mehr. Bergab geht es nun mal immer schneller.

Aber auch dieser Anstieg ist irgendwann zu Ende. Ich schiebe mich durch ein Weidegatter und habe einen unglaublichen Ausblick auf das Sonnjoch. So schön, dass ich mich hinsetzen muss (naja der Aufstieg kam noch dazu). Zu meiner Beruhigung kommt der ältere Herr tatsächlich auch wieder vorbei, sonst hätte ich die Jungs von der Bergrettung sicher mal den Weg runter geschickt.

Was dann kommt gefällt hier schon keinen mehr, es geht bergab. Nicht nur ich mit meinem Fuß, auch viele andere gehen nur noch bergab. Im letzten Teilstück vor dem Gramai Hochleger kann man wieder laufen, ich versuche das mal auch. Geht irgendwie. Dennoch muss ich unbedingt was trinken und die Flasks füllen. Ich kippe mir sicher einen halben Liter Hollerwasser rein, schnappe mir etwas Obst und gehe einen Apfel essend erst mal weiter.

Aus dem Höhenprofil weiß ich, dass es ab jetzt so gut wie nur noch abwärts geht. Nichts was mich, meinen Knöchel oder sonstwas in mir drin wirklich zufrieden macht. Ich rechne kurz mal die Ankunftszeit hoch und schicke meiner Frau eine SMS. Ich muss etwas nach oben korrigieren. Denn bergab verliere ich sicher noch einiges.

Auf dem Absteig zur Gramaialm überhole ich einen verletzten Läufer, der sich noch langsamer nach unten schiebt, weiter unten liegt einer neben dem Weg, Wanderer kümmern sich um ihn. Boah. Kein Zuckerschlecken hier.

Irgendwie komme ich unten an und denke kurz darüber nach, wie weit es noch sein könnte. Bestimmt so um die 5km, einfach wieder aus dem Tal hinauslaufen, fertig. Ich verpflege mich an der Alm ganz kurz, etwas trinken, etwas essen, ich nehme meine letzten Gel-Shots und mache mich wieder auf den Weg.

Endspurt

Hier sind viele Wanderer und Familien unterwegs, so gibt es schon einiges ans Zuspruch. Gut das keiner sagt, ich würde gut aussehen. Mit einem erstklassigen Painface bin ich in diesem Moment eine super Werbug für diesen naturnahen und entspannten Sport.

Letztlich passiert jetzt das gleiche, was ich schon im Pitztal erlebt habe. Ich hab irgendwo noch Reserven mobilisiert. Ich sah das Schild 9km und fragte mich wie das sein kann. So weit noch. Meine Frau schreibt mir, dass im Ziel aktuell nur glückliche Läufer ankommen – ich schreibe ihr, dass ich sicher noch gut 1h brauche. Man bemerke die Diskrepanz.

Dennoch, das Bild visualisiere ich. Ich stelle mir vor, wie mich meine Familie begrüßt, wie ich ins Ziel laufe. Ich wiederhole mein Mantra, das ich bei solchen Läufen inzwischen hunderte Male abspule. Ich nehme die Hände aus den Schlaufen und die Stöcke in die Hand.

Um mich zu fokussieren habe ich beim Abstieg vom Gramai-Hochleger bereits die Kopfhörer ausgepackt, das erste mal in einem Wettkampf. Jetzt drehe ich richtig laut. Ich lasse die Sau raus und fühle mich einfach unglaublich. Ob ich jemals vorher in meinem Leben nach über 40km so eine Leistungsungsboost verspürt habe, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass er nur vom Kopf kam. Ich lief wieder an und ich holte auf, ich überholte Leute die nur noch gingen, ich überholte Leute die liefen.

Selbst auf Trails hielt ich ein gutes Tempo für meinen Zustand. Vor mir stürzte einer über eine Wurzel, kurz aufhelfen, dann weiter. Kurz vor der Falzthurnalm shuffelt mir Spotify Red Hot Chili Peppers ins Ohr. Kurz denke ich, so muss sich der TriathlonDog fühlen. Es geht leicht bergab und der Weg wechselt auf Aspahlt. Ich fühle mich, als würde ich vor Energie bersten, der innere Hulk ist freigelassen. An der Alm laufe ich absolut fokussiert vorbei, meine Uhr zeigt in dem Moment Pace 4:50 an. Der KM-Split lag da zwar bei 5:47, aber das Gefühl beflügelte mich just in diesem Augenblick.

Ich schloss auf immer mehr Läufer auf und überholte zwischen Gramaial und dem Ziel sicher noch 30-40 Leute. Vielleicht hätte ich noch ein Gel mehr nehmen sollen, denn das blieb nicht ohne Spuren. Ich verspürte wie so langsam die Flamme weniger loderte, aber ich war absolut auf mein Ziel, das Ziel fokussiert. Auch wenn es nur noch einen kerzengeraden geteerten Weg hinabging … oder vielleicht auch deswegen. So viele die mich überholt hatten, gingen hier … ich lief. Das fühlte sich großartig an. Der Puls stieg weiter, aber die KM wurden weniger.

Ich SMSte meiner Frau noch kurz, noch 3km – beendete die kurze Gehpause und zwang meinen Körper wieder zu laufen. Auf Asphalt und bergab machte der Knöchel mit, also lief ich. Spaziergänger hörte ich sagen, „der sieht aber noch frisch aus“. Das „wenn ihr wüsstet“ dachte ich mir nur, und drehte die Musik wieder lauter.

Nun konnte ich den See schon sehen. Das Ziel war fast erreicht. Am Ende des Weges kurz vor dem Ortseigang war dann aber der Akku tatsächlich leer. Ich war einfach zu schnell gewesen. Also ging ich ein Stück bis ich mit anderen Läufern weiter Richtung Ziel trabte. Zwei der Überholten überholten wieder zurück, ich war weder willens nch in der Lage hier Gegenwehr zu leisten. Je näher ich das Ziel fühlte, desto mehr hatte ich das Gefühl noch EIN-MAL Kräfte zu mobilisieren. Ich bog ein auf die Straße zum Ziel, lief mitten auf der Straße zwischen Autos. Die Leute und Finisher klatschten und jubelten.

Wo auch immer das alles herkommt, es war da. Ich zog nochmals an und lief nach 8h und 22 Minuten über die Ziellinie. 52km –  2.100 Höhenmeter. Ganzkörerbremse und ziemlich wahrscheinlich mit einem Bänderanriss.

Ende mit Gelände

Ich hole mir noch schnell ein alkoholfreies Weizen und lasse mich dann alsbald auf die Wiese im Zielbereich fallen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich da nie wieder aufkomme, hoffe aber, dass mir meine Familie hilft, oder der Aufräumtrupp mich irgendwann Abends wegrollt.

Zum Glück trifft ersteres ein. Wie immer nach solchen Strapazen fehlt mir der Hunger, aber ich weiß, dass ich eine Kleinigkeit essen sollte. Egal – ich hinke zur Finisher-Beutel Ausgabe und dann mit der Familie Richtung Auto.

In der FeWo freue ich mich, das es eine Badewanne gibt, die ich erst mal ausgiebig verwende. Nachdem ich einen Blick auf meine Trailwunden geworfen habe bin ich ganz froh, dass nicht mehr passiert ist.

Nur der linke Fuß sieht fies aus. Mächtig geschwollen. Zum Glück gehört Voltaren Forte und Arnika Schmerzsalbe zu meinem Standard-Reiserepertoire, so dass ich hier gegenwirken kann. Abends gibt’s eine fette Portion Kasnockerln und selbstverständlich einen Kaiserschmarrn. Damit bin ich wieder versöhnt und berei für einen wunderbaren Urlaub in den folgenden Tagen.

Resüme

Nach gut einer Woche könnte ich viel davon berichten, was der Fuß so getrieben hat. Nach einem Tag sickerte der Bluterguss überall hin, der Fuß war lila bis blau und schwoll erstmal an, sobald ich saß. Ich besorgte mir eine Kompressiosmanschette und wir wanderten die nächsten Tage locker mit der Familie, was viel geholfen hat. Jetzt fast eine Woche später ist die Schwellung so gut wie weg und ich kann den Fuß wieder belasten. Zudem ist das Sprunggelenk wieder mobiler. Ich werde es die nächsten Wochen noch ruhiger angehen lassen und sicher noch einige Zeit die Manschette beim laufen tragen. Ich will das Problem erst mal wieder richtig loswerden. Das war mir jetzt schon heikel genug.

Es ist sowieso an der Zeit wieder in ordentliches Training einzusteigen. Das war jetzt der zweite ziemlich extreme Lauf, den ich quasi nur aus der ZUT-Grundlage heraus gefinisht habe. Das möchte ich wieder anders machen, jetzt startet der Herbst und erfahrungsgemäß damit wieder mein Training. Die Delle zwischen Mai und September habe ich schon seit Jahren, was mich nie davon abhält irgendwelche verrückten Dinge zu tun.

Dieses Jahr will ich noch einen, den 4. Ultra laufen – dann aber wirklich nur zu Spaß, aber auch dafür werde ich wieder trainieren. Das Fundament wieder sicher machen, denn auch wenn es ging … sind wir ehrlich, schlau war das nicht. Das weiß ich selbst. Deswegen … nehmt euch an mir kein Vorbild (falls überhaupt die Gefahr bestand).

Ich nehme für mich wieder ein tolles Abenteuer mit, tolle Eindrücke und viel gelerntes über meinen Kopf. Was überhaupt dieses Jahr ausmacht und wahrscheinlich auch der Grund ist, warum ich das hier lieber mache als 42,195km zu laufen.

Ich suchte und suche meine Grenzen, manchmal habe ich sie erahnt, manchmal gefunden. Beim Karwedelmarsch war es eine andere Grenze, vielleicht die andere Seite einer Grenze. Die Selbsterfahrung, am Ende nochmals das Biest rauslassen zu können bedeutet erstmal, dass noch Reserven da sind, das ich mehr und weiter könnte. Allerdings auch die Grenze, die mich 30km mit Schmerzen laufen lies – ein klein wenig beunruhigend. Wie Dr. Jeckyll und Mr. Hyde.

Allerdings bedeutet es auch, dass ich sicherer und für mich lockerer und bestimmt mit mehr Freude solche Abenteuer erleben kann, wenn ich anders trainiere und das soll mein Credo für die nächsten spannenden Wege sein. Ich will ja nicht immer nur der Typ mit dem Blog sein, der es irgendwie schafft ins Ziel zu kommen … wobei das durchaus eine Leistung ist auf die ich mit Dankbarkeit zurückblicke.

In diesem Sinne, viel Spaß euch da draußen beim suchen und finden von Grenzen.

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Ein Kommentar

  1. Glückwunsch zum Durchhalten und Finishen! Ich war heilfroh, ohne Umknicken, Sturz oder Ähnliches durchgekommen zu sein. Wahnsinn, mit so einem Knöchel. Aber wie heißt es so schön: Schmerz vergeht, Stolz besteht. Und Danke für die schönen Bilder, so konnten wir nochmal in Erinnerungen schwelgen – als Nicht-Fotografierer auf der Strecke. Und wahrscheinlich warst Du zu schnell – beim Aufstieg zur Falkenhütte war links eine Viehtränke mit herrlich frischem, kaltem Wasser – genau richtig, um sich die Flasks / Flaschen zu füllen ;-) P.S. Dixie-Schlange – da hörte ich um mich herum nur Kölner Damen …. Frohnaturen um halb sechs morgens – auweia.

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