Berlin Marathon, Siegessäule, Marathon

Von Steinen und Glashäusern

Das Internet bietet unglaublich viele Möglichkeiten und das in vielerlei Hinsicht. Zum einen gibt es viele Möglichkeiten seine Zeit zu vertreiben oder auch sein Geld auszugeben. Hinzu kommt, dass man an fast jeder Ecke seine Meinung kundtun kann.

So habe ich meine digitale Laufsportkarriere in einem Forum gestartet, in dem doch hin und wieder ein wenig herzlicher Ton herrschte. Vor allem war man sich ziemlich schnell klar, was man zu tun habe, was man zu lassen habe und was ja gar nicht ginge. Das Lieblingsthema „ist ein Marathon in 5h überhaupt noch ein Marathon“.

Das wurde dann – je nach Leistungsstand der Diskutierenden – entsprechend verkürzt. Ähnliche Themen wurden auch regelmäßig durchgekaut. Musik beim Laufen ginge gar nicht, der Lange Laufe dürfe nur 20% des Wochenumfangs ausmachen usw. Wie es eben so läuft in der menschlichen Gesellschaft. Es werden implizit und explizit Regeln aufgestellt und missachtet.

Nun halte ich mich mit derartigen Regelungen eigentlich sehr zurück. Ich mag das Prinzip „leben und leben lassen“ – zudem kann man nie wirklich sicher sein, was die Zukunft mal bringt. Aber eine Meinung habe ich dennoch, auch wenn ich sie für mich behalten habe.

Nun tue ich sie mal kund. Ich war der Meinung, dass es ja totaler Quatsch ist, dass jährlich unzählige Läufer quasi unvorbereitet bei Marathonläufen am Start stehen, nur um dabei zu sein. Wer nicht trainiert habe, solle die Teilnahme bleiben lassen und sich und seiner Gesundheit einen Gefallen tun.

Ja… also … und jetzt?

Gestern lief ich einen 30er, mehr mit dem Kopf als mit dem Körper. Es hat so richtig fies weh getan, ich hatte dazu noch einen tollen Hungerast und schleppte mich die letzten 3km eigentlich nur noch im Schneckentempo bis zum Abholtreffpunkt.

Hinterher sagte ich mir, die einzige vernünftige Entscheidung wäre eigentlich, in Berlin nicht an den Start zu gehen. Wenn es nach 20km schon schwer wird und ich ab 27km von Nacktschnecken im Gegenwind überholt werde, wozu das ganze? Allerdings wurde ich für den Berlin Marathon ausgelost, so viele andere nicht, die gerne laufen wollen würden.

Es ist DER Marathon, es ist DER Treffpunkt für die Bekloppten des #twitterlauftreff. Das Hotel ist gebucht, die Familie freut sich, ich habe viel dieses Jahr umgestellt um für Marathon trainieren zu können, ich habe mich dieses Jahr 12x über die 30km oder mehr gequält, ich habe die höchsten Umfänge bisher gelaufen – alles bevor Infekt, Hüfte und Umzug in die Quere kamen.

Deswegen bin ich jetzt eben unzureichend vorbereitet. Deswegen kann ich im lockeren Tempo nicht mal 30km einfach so runterlaufen, aber deswegen werde ich den Berlin Marathon nicht sausen lassen.

Die Wahrscheinlichkeit nicht mal unter 4h zu finishen ist seit gestern deutlich angestiegen, das steht in keinem Verhältnis zu meiner Leistungsfähigkeit – das mag sein – aber es steht im Verhältnis zur Lebenswirklichkeit.

So ist das eben, wenn man plötzlich im Glashaus sitzt und nicht mehr davor. Oder wie mir mal ein schlauer Mensch sagt: Vorurteile sind dazu da, um sich Nachurteile bilden zu können. So gesehen, habe ich mal wieder etwas gelernt. Der Ausdauersport lehrt einem hin und wieder kleine oder große Lektionen in Demut. Man weiß eben nie, wann man mal in der Situation ist wie „die anderen“.

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11 Kommentare

  1. Gute Entscheidung. Und ich wette, es klappt doch so, dass du hinterher zufrieden sein wirst.
    Wettkampf ist halt doch was anderes, als ein Trainingslauf. Und gerade in Berlin werden dich die Zuschauer ins Ziel tragen.

    Der mit den Nacktschnecken ist gut… :D

  2. Meiner Meinung nach ist es eine Frage der Zielsetzung, will ich nur Finishen? Okay gehe an den Start.
    Will ich was erreichen? Lass es bleiben, nutze die Grundlage und geh Fit an den Start einens Frühjahrsmarathons.

    Aus der perspektive eines Trainer habe ich diesbezüglich eine klare Einstellung. Der $Athlet ist zu mehr in der Lage? Bleiben lassen!
    Warum?

    1. Ein Marathon ist und bleib kein Zuckerschlecken und der Organismus wird entsprechend gefordert. Ist dieser ohnehin schon nicht 100% Fit wird die anschließende Erholung – die, sind wir mal ehrlich, bei einem Hobbysportler fast nie stattfindet – noch intensiver.
    2. Was kommt danach? In der Regel ein unzufriedener Athlet der mehr wollte, es aber Aufgrund vieler Umstände nicht geschafft hat und dementsprechend demotiviert ist. Diesen wieder aufzubauen fällt entsprechend schwer.

    • Ja…aber!
      Ich kann Deine Argumentation gut nachvollziehen, genau dieser Gedankengang hat mich ja zu dieser lauten Überlegung gebracht. Ich habe eben nicht verstanden, warum das jemand tut.

      Nun stehe ich auf der anderen Seite und verstehe ein wenig besser. Letztlich bin ich in vielen Bereichen eigentlich leistungsfähiger (z.B. auch beim Radfahren), aber komme damit super zurecht.

      Das Erholungsthema ist in diesem Fall bei mir sogar mal nicht relevant, da für mich nach dem Berlin Marathon meine Saison zu Ende ist. Ich laufe zwar noch einen Wettkampf Ende Oktober, aber nur zum Spaß (Trail). Ansonsten gebe ich Dir da auch Recht, nach dem Basetrail XL hätte mir Pause sicher gut getan.

  3. Ja, ich kann dich gut verstehen… ich hadere genauso mit dem Marathon eine Woche später – nur bin ich dieses Jahr noch keinen 30-er gelaufen… und ich bin urpsprünglich davon ausgegangen, dass ich den Marathon in sub 4 laufen kann, wenn auch knapp … nun bin ich froh, wenn ich vor dem Besenwagen ankomme. Auch ich habe immer den Kopf geschüttelt über Leute, die sich einfach an den Start stellen ohne vorbereitet zu sein… Nun ja, die haben meist echt viel Spaß noch dabei.
    Ich selbst bin im Vergleich zu dir, nicht vorbereitet.
    Ich denke aber, dass du Berlin dennoch unter sub 4 finishen wirst. Dazu bist zu trainiert… Kleiner Tipp: Lass einfach mal die Uhr weg und laufe einfach weil es Spaß macht in Berlin zu laufen… Und nicht, ob ich nun 5:45 den km oder 4:45 laufe und andauernd hochrechne. Genieße die Stimmung und lass dich überraschen, was deine Beine und dein Kopf draus machen! Die Läufe/Wettkämpfe ohne Uhr waren für mich immer die, die mich am meisten überrascht haben, denn ich habe nur auf meinen Körper gehört und nicht auf eine GPS-Zeit….
    Bin gespannt auf deinen Bericht!
    Liebe Grüße
    Kathrin

  4. Liebchen…alles wird gut. Ein wenig #mimimi von mir…ich trainiere z.Zt. einmal in der Woche…ein paar lachhafte Kilometer und gehe am 25.Oktober beim 100k Röntgenlauf an den Start ! Noch Fragen ? Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Elefanten werfen…oder so ähnlich. Genieße Berlin..egal in welcher Zeit…und bitte poste ein Foto, wie dich die Leute ins Ziel „tragen“ ! Wie schwer bist du eigentlich ? Muahahahaha….
    Es grüßt der Wingmops

  5. Ich kann dich super verstehen. Auch ich habe im oben genannten Thread stundenlang gelesen, aber eben auch weil ich mit Vorbereitung in eben jene Kategorie fiel!

    Nachdem ich 2 Marathons in über 5h absolviert habe, kann ich dir auch meine Meinung dazu sagen…Ich würde das nie nochmal tun. Wenn absehbar ist, dass es so weit kommt steige ich aus. Es war einfach nur eine furchtbare Quälerei und das werde ich mir nicht nochmal an tun. Ob das jetzt an den 5h oder woran auch immer gelegen hab sei mal dahin gestellt. Vielleicht geht es dir ähnlich wenn du in 4.15h finishst.

    Ich denke wichtig ist, dass du auf dich hörst und dich an den kritischen Punkten fragst ob das noch Sinn macht.

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